Silke Opitz & Ina Hattenhauer
Das therapeutische Nashorn Tipsy
Berlin 2020

Verlag: Revolver publishing, Berlin
Gestaltung: Andrea Peter
20 x 25 cm, 64 Seiten, Hardcover
Papier: Munken pure
Schriften: PTL Superla, Maxima
Auflage: 1000
Druck, Bindung und Herstellung: DZA Druckerei, Altenburg

Fotos: Revolver Publishing

Ein Bilderbuch für
HELENE HAEUSLER (1904 Metz / Lothringen – 1987 Sonneberg / Thüringen)
und für KLEIN und groß

Mit Unterstützung von Kulturstiftung Thüringen, Sparkasse Mittelthüringen, SV Sparkassen Versicherung / Art Regio sowie Bauhaus Transferzentrum Design Weimar e.V. – VIELEN DANK!


HELENE HAEUSLER
(1904 Metz/Lothringen – 1987 Sonneberg/Thüringen ) war Spielzeug-Gestalterin.
Um ihrer facettenreichen Persönlichkeit und ihrem Werk zu entsprechen, würde das heute im Kunst- und Kulturbetrieb schnell angelegte Begriffsraster aus „Frau“, „DDR“, „Design“ und vermutlich noch „Inklusion“ allerdings viel zu kurz greifen.

Haeuslers Lebensspanne umfasst nahezu das gesamte 20. Jahrhundert. Schon ihre fundierte Ausbildung, ihr Beruf und ihre (späte) Berufung erscheinen bemerkenswert – einmal mehr für eine Frau in dieser Zeit. Ihre Konsequenz und ihr Wille, das Leben gegen alle Widrigkeiten zu leben (und hier sind Krieg und Ideologie mit sämtlichen Folgen gemeint) und diesem Leben noch dazu für sich und für andere etwas Sinnvolles abzugewinnen, also etwas Schöpferisches mit Relevanz und Nutzen für das unmittelbare Gemeinwohl zu tun, beeindrucken. Auch ihr deutsch-deutscher Lebensweg, der sie immer wieder in den „Wald“, genauer ins Thüringische Sonneberg, führte, ist interessant.
Haeuslers wichtigste oder eigentliche Arbeiten aber lassen sich aus kunst- oder designhistorischer Perspektive kaum beurteilen. Denn das sind NICHT ihre oder ihrer Schülerinnen (therapeutische) Rupfentiere, sondern Spielgaben für schwer- und schwerstbehinderte Menschen. Eben diese in einem („High-End“) Design-Museum unserer Zeit zu präsentieren, erscheint unstimmig, obwohl sie vielleicht genau dort zu zeigen wären – wer weiß. Haeusler hätte ihre Arbeiten auch heute sicher am liebsten angewandt gesehen: hergestellt von jenen, die sie auch benutzen, nicht im Museum. „Inklusion“ müsste hier schon „andersherum“ erfolgen.

Der Reformbewegung des frühen 20sten Jahrhunderts, eigentlich aber FRIEDRICH FRÖBEL (1782 –1852) zutiefst verbunden, hatte Haeusler von Beginn ihrer Laufbahn an als Gestalterin mit der Industrie und der seriellen Massenproduktion sowie den zeitgemäß modisch-modernen Materialien und Entwürfen gehadert. Schon ihre frühe Puppe Heinerle (1928/32) war daher kein Verkaufsschlager. Während die Spielzeugproduktion in der DDR dann offiziell zum Wohle ihrer Werktätigen dem Kapitalismus den Kampf ansagte, aber doch immer dem Weltmarkt verbunden blieb beziehungsweise diesen (mit der billig verkauften Arbeitskraft eben ihrer Werktätigen) belieferte und somit in den 1950/60/70er Jahren gleichfalls auf Plüsch und Plaste (im Westen -ik) setzte, war Haeusler auch hier nicht im planwirtschaftlichen Sinne erfolgreich. Sie empfahl ihren Schülerinnen stattdessen Jute beziehungsweise Rupfen als Werkstoff für die Entwürfe großer Sitztiere.

Ihre Puppen, Spieltiere und -gaben wären heute in jedem pädagogisch-ökologisch wertvoll und bewusst konzipierten Spieleladen (und davon gibt es jede Menge) oder in Ludotheken nichts Besonderes. Auch zu Haeuslers Lebzeiten waren sie sicher nicht unbedingt revolutionär, aber eben doch „anders“, natürlicher, einfach-essentieller und eben von Hand für Hand gefertigt. Dabei waren sie weder für tiefenentspanntes oder esoterisches Werkeln und Basteln gemeint noch aus solchen heraus entstanden. Bereits im Fertigungsprozess wurden Haeuslers Spielgaben für Behinderte in Förderwerkstätten auf ihre Funktionalität hin geprüft weil hier Produzent und Konsument beziehungsweise Nutzer identisch waren. Kluges, simples wie innovatives Design führte zu einem Produkt, das die Lebensumstände seiner „Endverbraucher“ tatsächlich verbesserte.

Diese kleinen, einfachen Spielmittel hinterfragen den „Design“-Begriff unserer Zeit auf sehr eigentümlich existenzielle Weise. Auch die mit dem „Design“ so gern flirtende „Art Directrice“ der Gegenwart wäre einen Rückblick auf ihre „historische“ und als solche vielleicht eigentliche Bedeutung beziehungsweise Berufsbezeichnung hin Wert. Denn als solche war Haeusler schon 1930 bei der Sonneberger Firma Martin Eichhorn eingestellt worden, bevor sie dann als selbständige Gestalterin und ab 1954 als Dozentin an der Fachschule für angewandte Kunst (wieder) in Sonneberg tätig war.

Am Ende all dieser „Begriffsreiterei“ wäre aber doch nur festzustellen, dass das heutige „Design“ im Grunde häufig den alten, einst als „akademisch“ verpönten Kampf der „hohen“ Kunst mit dem „niederen“ Handwerk fortsetzt und für sich entscheiden möchte. Selbst in der „Kuchen- und Brotmanufaktur“ unserer Zeit will niemand „Handwerk“, und hier speziell „Konditor“ oder „Bäcker“, sagen oder sein, vom „Küchenstudio“ einmal ganz zu schweigen.
Es geht eigentlich noch immer um jene Auseinandersetzung, der man durch Aufwertung des Handwerks schon im Werkbund und später am Bauhaus entgegenwirken und „beide Lager“ vielleicht befrieden wollte, auch, indem man eben in Weimar 1919 eine Kunsthochschule mit einer Kunstgewerbeschule fusionierte. Freilich war dieser Zusammenschluss unmittelbar nach Kriegsende auch finanziellen Erwägungen geschuldet. Die handwerkliche Ausbildung kam in Folge jedenfalls ziemlich kurz beziehungsweise wurde u.a. durch Mazdaznan ersetzt – und wer hört da nicht schon die Klangschalen klingen? Wenn auch sonst nicht allzu viel funktionierte, tat es die Öffentlichkeitsarbeit verbunden mit einem frühen „Lifestyle“ extrem gut, und schon hat man zwei Komponenten, die noch immer wichtig und inzwischen vielleicht sogar essentiell für die heutigen Hipster unter den Gestalter*innen und deren „Design“ erscheinen. Mitunter wird dann noch an einem bereits existierenden Designobjekt, einem bestens funktionierenden Möbelstück zum Beispiel, etwas „herumoptimiert“ und schon hat man ein gutes Re-Design, mit dem man ganz im Trend liegt und nur manchmal Ärger mit dem Patentamt oder mit den Nachfahren der eigentlichen Gestalter bekommt. Denn gerade mit dem Markenrecht kennt man sich eigentlich ganz gut aus, schließlich steht das „Branding“ inklusive (potenzierte) Marke, Logo und Copyright fast immer und lange vor dem Produkt.

Haeusler hingegen hat viele kleine Dinge selbst produziert oder in geringer Stückzahl produzieren lassen, Ideen an ihre Schüler/innen weitergegeben und die Anleitungen zur Herstellung für die von ihr entwickelten (etwas aufwendigeren) Spielmittel und -geräte all jenen kostenlos zur Verfügung gestellt, deren Angehörige diese am nötigsten hatten und am dringendsten brauchten. Noch heute sollen und dürfen diese Vorlagen aus ihrem Nachlass in Berlin (Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland / Kulturbrauerei) kopiert werden, wenngleich der Bedarf glücklicherweise aufgrund anderer, nicht nur materiell besserer Lebensumstände und -möglichkeiten entsprechend geringer ist als zu Haeuslers Zeiten. Abgesehen von manchmal aufgenähten, ineinander verschlungenen Ringen – der eine blau, der andere rot – spielten Logo oder Markenschutz für Haeusler keine Rolle. Auch das hat dazu geführt, dass die Gestalterin in Vergessenheit geraten ist.

Immerhin hat 1995 Dagmar Lüder von Berlin aus eine stille aber solide und darin vermutlich entsprechende Würdigung unternommen: mit einer Ausstellung in der Kulturbrauerei – Haeuslers Nachlass gehört zur Sammlung industrieller Gestaltung – und mit einer gründlich recherchierten, ebenso reflektierten und noch dazu gut gestalteten Monografie.
Nun sollte auch von Thüringen aus etwas gegen das Vergessen DER HAEUSLER getan werden, jedoch ohne das Missionarische, das ihr zweifellos zu eigen war und vielleicht zu eigen gewesen sein musste. Auch eine altbacken-feierliche „Hommage“ galt es zu umgehen wie auch die Begriffe „Inklusion“, „Design“ oder gar „Frau“ ihrem heutigen Raster-Gebrauch nach …

„Das therapeutische Nashorn Tipsy“ jedenfalls weiß nichts von alledem. Es hat ganz andere Sorgen in einer auf Mangelwirtschaft basierenden Republik, die sich sozialistisch nennt und durch einen Eisernen Vorhang vom Rest der Welt abgetrennt ist. Doch selbst hier gibt es kranke und eingeschränkte Kinder. Diesen will Tipsy unbedingt helfen. Aber weil das therapeutische Nashorn selbst ein Mangelexemplar ist, ist das nicht so einfach. Mit Hilfe seiner ziemlich schlauen Spieltierfreunde Elfriede (eine therapeutische Ente und wie Tipsy aus dem Osten) und Mocky (ein therapeutisches Nilpferd, gegen Devisen in den Westen gelangt) und zweier magischer Ringe – der eine blau, der andere rot – klappt allerdings am Ende, was am Anfang völlig unmöglich schien.
Eine Marke ist mitunter eben doch zu etwas gut!